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Do it yourself

Prüfend schaut sich Nora in ihrem Bad um. Ganz sicher ist sie sich nicht, aber sie findet, dass die neuen Fliesen und das Laminat gut zueinander passen. Es gibt dem Ganzen einen mediterranen Stil, findet sie.

„Gut, dass wir schon vor dem Lockdown mit der Planung für das neue Badezimmer angefangen haben“, schießt es ihr durch den Kopf. So standen alle Materialien bereit, als der Startschuss für den Umbau fiel.


Startschuss. Nora schmunzelt. Sie hat etwas übrig für Wortspiele und dieses Wortspiel ist ein ganz besonderes, eines, das nur sie verstehen würde. Als sie geschossen hatte, hatte es gestürmt und niemandem konnte aufgefallen sein, dass der Knall mehr war als das wetterbedingte Phänomen, wenn Donner und Blitz zur gleichen Zeit explodierte. So gesehen war Svens Timing perfekt gewesen. Genau in dieser Nacht hatte er wieder einmal gedemütigt, verprügelt und derart misshandelt, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen war, sich gegen seine perversen Spielchen zu wehren, die er so gerne mit ihr trieb, die sie jedoch allenfalls mit Abscheu, nicht aber mit Leidenschaft erfüllten.

Gut, sie hatte es sich so ausgesucht. Es sollte ein Mann sein, ein richtiger Mann. Und er sollte gutaussehend und gut situiert sein. Alternativ wäre ihr auch ein reicher alter Knacker recht gewesen, wenn dieser dann zügig das Zeitige gesegnet hätte. Aber das Glück war Nora hold gewesen und sie fand in Sven tatsächlich jemanden, nicht nur gut für sie sorgen konnte, sondern auch allen anderen Wünschen entsprach: Er hatte neben seinem großen Anwesen, seiner Garage mit einigen Luxuskarossen und einem prall gefüllten Bankkonto auch noch einen göttlichen Körper und eine charismatische Ausstrahlung zu bieten und war bereit, sie auf Händen zu tragen.

Bis die Flitterwochen vorbei waren. Dann erst zeigte sich, dass man immer bedenken sollte, was man sich wünscht…

Nora schüttelt sich und kehrt in die Gegenwart zurück. Sie muss überlegen, was als nächstes zu tun ist.  „Dazu sollte ich mich wohl als erstes darüber informieren, wie der Stand der Dinge da draußen ist“, denkt sie und lässt die nahe Vergangenheit Revue passieren.

Seit sechs Tagen ist sie nicht mehr aus dem Haus gegangen, hat die ganze Zeit durchgearbeitet. Und nun endlich sieht das Badezimmer so aus, wie sie es sich immer vorgestellt hat. Dank ihrer handwerklichen Fähigkeiten und unzähligen Youtube-Tutorials hat sie sogar die neue Badewanne selbst eingebaut und verfugt, die Heizkörper angeschlossen – kurz und gut: Nichts im Bad ist mehr so wie vorher und sie hat niemanden helfen lassen.

Nora schaut an sich herunter und beschließt, erst einmal in Ruhe ein Bad zu nehmen. Sie will den Schmutz und den Staub von ihrer weichen, leicht gebräunten Haut spülen, ihre langen, blonden Locken pflegen, will sich nach all dieser Handwerksarbeit wieder weiblich fühlen. Spontan beugt sie sich zu ihren Schuhen, um sie auszuziehen, streift die Sportsocken ab. Sie richtet sich wieder auf, öffnet die Latzhose, lässt sie zu Boden gleiten, streift das langärmlige Shirt ab. Auf Unterwäsche hat Nora schon immer gerne verzichtet; sie ist für sie nur Verschwendung. Lediglich in ihrer Zeit mit Sven hat sie welche getragen. Anfangs heiße, knappe Tangas, die seine Leidenschaft für sie befeuern sollten. Je schlimmer es mit ihrer Ehe wurde, desto langweiliger wurden dann allerdings auch ihre Wäschestücke. Sie wollte nicht mehr attraktiv für ihn sein, wollte seine Lust nicht mehr reizen. Seit der Nacht, in der sie sich ihre blutgetränkten Kleidungsstücke ausgezogen hatte, trägt sie nichts unter der Oberbekleidung. Und sie genießt es mit jedem Tag mehr.

Nora schaltet den Fernseher ein, den sie höchstpersönlich an der Wand festmontiert hat. Während das heiße Wasser in die Wanne schießt, lässt sie ein paar Badeperlen in das Wasser gleiten. Sie genießt den Geruch, der sofort mit den Dämpfen aufsteigt. Sandelholz und ein Hauch von Bergamotte. Ein Hochzeitsgeschenk einer der Geschäftspartner ihres Mannes. Sven wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie so etwas verdient hätte.

„Du kriegst schon genug von mir“, war sein Standardspruch gewesen, wenn sie um etwas gebeten hatte. Noch nicht einmal ein Taschengeld hatte er ihr zugestanden; alles hatte er selbst eingekauft. Die Lebensmittel über einen Lieferanten, Kleider übers Internet, die Rechnungen liefen alle über seinen Tisch. Was sie bestellte wurde zurückgeschickt und sie wurde bestraft. So war sie tatsächlich völlig von ihm abhängig und das ließ er sie jeden Tag spüren.

Nun, das hatte ihm letztendlich ein Loch an einer ihm äußerst unangenehmen Stelle eingebracht. An einer tödlichen Stelle, gewissermaßen.

Während das heiße, wohlriechende Wasser ihren Körper umschmeichelt, entspannt sich Nora und sie streichelt über die Stellen ihrer Haut, die noch immer Zeugnis seiner Misshandlungen geben. Gegen ihren Willen schweifen ihre Gedanken ab, bringen sie in die Nacht zurück, in der Sven das letzte Mal Hand an sie legte.

Es schien ein Tag wie jeder andere zu sein. Also: Gähnende Langeweile für sie, da Nora nichts anderes zu tun hatte als sich zu pflegen, damit sie schön für ihn war. Ansonsten blieb ihr Netflix und Zeitschriften, die er für sie ausgesucht hatte, ein Bad im Swimmingpool oder eben… nichts tun. Das Bisschen, was es für sie im Haushalt zu tun gab, war innerhalb einer halben Stunde erledigt, geputzt wurde einmal in der Woche von einer Putzfrau. Er aß grundsätzlich außerhalb, denn er bestellte für sie nur Lebensmittel, die darauf abgestimmt waren, sie rank und schlank zu halten. Das durfte sie natürlich nicht mit ihm gemeinsam einnehmen, denn Sven fand es abstoßend, sie essen zu sehen. „Wie du in deinem Salat herumstocherst! Wie ein verwöhnter Geier, dem die Knochen nicht zusagen!“ In Vergleichen war ihr Ehemann nie besonders gut gewesen, aber was hatte sie das schon gestört, als sie ihn kennenlernte? Er war attraktiv, er war männlich und er war reich – mehr hatte sie ja nie gewollt.

Sie hatte also ihr Essen schon lange zu sich genommen, als er nach Hause kam. Wie immer hatte sie früh genug gehört, wie sein Auto die Auffahrt entlangfuhr, so dass sie rechtzeitig an der Haustür auf ihn warten konnte. Sie spürte sofort, dass sein Tag nicht gut gelaufen war, denn statt sie keines Blickes zu würdigen, wie er das inzwischen üblicherweise tat, blieb er stehen und erfasste ihre Erscheinung ganz genau.

„Sahst auch schon mal besser aus“, nuschelte er und Nora schwante Böses. Er hatte schon außerhalb getrunken. Das war nicht gut, gar nicht gut! In der Hoffnung ihn zu besänftigen entschuldigte sie sich bei ihm. Sie würde es besser machen, morgen. Er lachte höhnisch auf.

„Morgen? Da hab ich vielleicht gar keine Lust mehr auf dich. Geh nach oben und zieh dir was Vernünftiges an!“

„Was Vernünftiges“ bedeutete für ihn, dass sie die Reizwäsche anziehen sollte, die er so erregend fand. Dies und das durchscheinende Negligé, das er von der letzten Geschäftsreise mitgebracht hatte. Dazu Heels, natürlich. „Und schmink dich so, dass man dich auch ansehen will!“, blaffte er ihr hinterher.

Während Nora nach oben lief, zog sich alles in ihr zusammen. Es würde also wieder einmal einer dieser Abende werden.  Sie würde vor ihm hin und her laufen müssen. Er würde sich über ihre fetten Oberschenkel und die viel zu kleinen Titten echauffieren. Dann würde er sie zwingen, sich vor ihn zu knien, den Mund weit geöffnet, damit er sie „wenigstens etwas von Wert“ betanken könnte. Für jeden Tropfen, den sie nicht auffangen konnte, würde sie Hiebe bekommen. Erst dann, das wusste sie, war er überhaupt bereit, sie in irgendeiner Form zu penetrieren. 

Sie wollte sich nicht alles ausmalen, was auf sie zukommen könnte – nein, würde! – denn das meiste war zu schrecklich, zu grausam und wenn sie daran denken würde, verließe sie der Mut und sie würde zu große Angst haben, ihr Zimmer überhaupt zu verlassen. Also blendete sie alles aus und beeilte sich, sich für ihn zu präparieren.

Als sie schließlich die Treppe heruntereilte, erhielt sein Spiel aber eine Variante, die bisher noch nie vorgekommen war: Sie hörte Stimmen in seinem Arbeitszimmer. Sven war also nicht allein!

Nora zögerte. Was sollte sie jetzt tun? Bisher waren seine Demütigungen immer nur eine Sache zwischen ihm und ihr gewesen, von der noch nicht einmal die Dienstboten etwas ahnten. Sollte sie wieder in ihr Zimmer gehen und warten, bis alle anderen gegangen waren? Aber was, wenn sie damit einen Fehler machte? Sie würde sich wochenlang nicht richtig bewegen können und damit noch mehr Strafen auf sich ziehen, weil ihn Gebrechlichkeit anwiderte.

Noch während sie haderte, hörte sie seinen Ruf. „Nora! Wir warten!“

So war das also.

Nora schluckte und trat zögernd ein.

Und da stand ihr Gatte am Kamin, während zwei Fremde sich auf den Sesseln herumlümmelten und sie ungeniert angafften.

…..

Das Wasser wird kalt und Nora hat schon lange die Lust am Bad verloren. Doch sie fühlt sich immer noch dreckig. Beschmutzt, durch Sven und seine Kumpane. Schnell greift sie zu einem ihrer Badeschwämme und beginnt sich abzuschrubben. Als könnte sie so die Hände, die sie betatschten, all die Flüssigkeiten, die sie berührten, die Blicke und den Hohn abwaschen, all das, was sie für immer gezeichnet hat, auslöschen. Doch jeder blaue Fleck, jede kleine Narbe von größeren Kratzern, jede Strieme erinnern sie daran, wie es weitergegangen ist. Die Schmerzen tauchen wieder auf. Die Angst, das Gefühl der Scham, der Demütigung. Die Hilflosigkeit. Noch einmal durchlebt sie die Schrecken dieser Nacht, fühlt, wie der Hass langsam aufstieg. Ganz am Ende, als die Kerle schon gegangen waren.

Als er sie noch weiter verhöhnte. „Du hast dir nen Kerl mit Kohle gesucht, wie ne billige Hure. Hast dich an mich verkauft. Dein Körper gegen mein Geld. Genauso wirst du eben behandelt.“ Dann hatte er einen Geldschein genommen und mit dem Unrat beschmiert, der am Boden zu finden war: Die Spucke, das Sperma, der Urin. Bis der Schein völlig durchweicht war. Er hatte den Schein zusammengeknüllt, ihren Mund aufgezwungen und das Papier in ihren Mund gestopft. Er hatte sie gezwungen, zu kauen, zu schlucken, und er hatte erst aufgehört, nachdem er sich selbst davon überzeugt hatte, dass ihr Mund völlig leer war. Schließlich hatte er sie zur Seite geschubst. Achtlos, wie eine zerstörte Puppe, die ihm im Weg lag.

Die Gewissheit, dass es immer schlimmer werden würde, ganz gleich, ob sie sich wehren würde oder nicht, stand deutlich vor ihr.

Und da war der Hass in ihr aufgestiegen. Brennend, grenzenlos, nicht zu heilen. Sie kroch auf allen Vieren aus dem Arbeitszimmer, kroch die Treppe hoch und schleppte sich ins Bad, in dieses Bad, das noch ganz anders ausgesehen hatte, in dieser Nacht. Sie reinigte sich notdürftig und verschwand in ihrem Zimmer.

Dann brach der Sturm los. Als würden sich all ihre Gefühle draußen im Toben der Natur ausleben, zerrte der Wind an allem, was er mit sich zu reißen hoffte. Wasser toste an den Fenstern herab, Hagel wurde durch die Nacht geschleudert, als sei es ein Streufeuer einer dieser riesigen Maschinengewehre, von denen Nora nie wusste, wie sie heißen und was sie alles anrichten konnten. Als sich auch noch Blitz und Donner hinzugesellten, reifte in Nora ein Plan.

Und sie wartete. Wartete darauf, dass er, Sven, endlich ins Bad gehen würde. Oh, sie würde das schon noch früh genug mitbekommen. Er würde es ihr mitteilen, wie immer. „Jetzt muss ich erst mal deinen Schlampendreck abkriegen!“

Noch immer bewegte sie sich nicht. Sie lag da und horchte, bis sie hörte, dass das Wasser abgedreht wurde. Bis sie hörte, dass ein Körper ins Wasser glitt. Bis sie das genüssliche Aufstöhnen hörte und wusste, dass er nun in Erinnerung an das, was er Nora soeben angetan hatte, masturbieren konnte. Denn erst jetzt, nach der Demütigung, nach der Misshandlung, erst jetzt konnte er kommen, das wusste sie aus Erfahrung.

Und dies war der Moment, in dem sie sicher war, dass er all seine Aufmerksamkeit auf seine Erinnerungen gerichtet hatte. Jetzt stand sie auf und schlich humpelnd in sein Zimmer. Sie wusste genau, wo er seine Waffe aufbewahrte. Oh ja, er hielt sie für zu schwach, für zu willfährig, als dass er ihr zugetraut hätte, sich aufzulehnen. Das hatte er ihr bereits zu Beginn aus dem Leib geprügelt.

Und so war es ja auch gewesen, bis heute. Bis er wieder einmal die Spielregeln geändert hatte.

„Nora!“ Nein, sein Ruf erschreckte sie nicht. Auch das war üblich: Er würde ihr sein Sperma geben, damit sie es in sich aufnahm; schließlich gehörte zu „seinem Imperium“ auch ein geeigneter Erbe, wie er immer wieder betonte. „Komm her, Zuchtsau!“

Und sie ging zu ihm, mit der Waffe in der Hand.

Endlich, als sie an diesem Punkt der Erinnerungen ankommt, beginnt Noras Haut sich sauber anzufühlen. Die Wundmale verschwinden zwar nicht, aber sie scheinen blasser als zuvor zu sein. Sie taucht mit dem Kopf unter, entfernt die Seife aus den Haaren, reibt sich über das noch blasse Gesicht.

Dann taucht sie empor, und es erscheint ihr, als würde mit jedem Tropfen auch jedes Unbill, das er ihr angetan hat, abperlen. Er hatte seine Quittung bekommen.

Der Rest würde leicht sein. Der Transfer seines Geldes auf ein altes Konto von ihr, das unter einem Namen geführt wird, den noch nicht einmal er kannte. Zumindest so viel, dass sie ein Ticket buchen kann, sobald Corona die Flughäfen wieder aus ihren Fängen lässt. Den Großteil seines Vermögens hatte er eh in der Schweiz gebunkert, das weiß sie. Aber die Unterlagen sind alle hier, in diesem lächerlichen Tresor, dessen Schlüssel er immer um den Hals trug. Alles ist vorbereitet und nun, nachdem dieses Bad endlich fertig ist, wird niemand mehr Spuren finden.

Es sei denn, jemandem gefällt das neue Bad nicht.